Zeitlich bestens mit der gerade voll aufgeblühten Kirschblüte im Evangelischen Gemeindezentrum St. Matthäus abgestimmt, versammelten wir uns zum diesjährigen Ohanami-Event und freuten uns über die offene Tür durch Herrn Pfarrer Schmoll, der uns zur Begrüßung den Raum für interkulturellen Dialog öffnete.
Die vielfach in Japan, Tschechien und Deutschland ausgezeichnete Autorin, Frau Masumi Schmidt-Muraki hat sich mit der literarischen Darstellung von Menschen zwischen Kulturen befasst: Ihre Biographie „Die Gräfin kam aus Tokyo – Das Leben von Mitsuko Coudenhove-Kalergi“ (1874-1941) (Pilum Literatur Verlag, Strasshof, 2017) entstand aus einer beschreibenden Komposition langjähriger Recherchen zum Leben der Gräfin seitens vieler Zeitzeugen aus Japan und Europa:
Textausschnitte und japanische Lieder des zeitgenössischen japanischen Komponisten Rentaro Taki (1879-1903)(z.B. Kojo no Tsuki (Mond über der Ruine)) vermittelten uns die Herkunftswelt der jungen Gräfin, welche sich in jungen Jahren inmitten einer traditionsreichen Österreich-ungarischen Adelsfamilie mit Familiensitz in Böhmen einfand.
Wie dramatisch musste deren täglich immer wieder neu zu bewältigenden kulturellen Anpassungen durch vielfältige unbekannte Herausforderungen gewesen sein?
Identitätsbildung und kulturelle Anpassung der Gräfin aus Japan geschahen mehr durch Verschweigen eigener Gefühle und Bedürfnisse als dass interkulturelle Herausforderungen überbrückt wurden:
Gräfin Mitsuko Coudenhove-Kalergi bemühte sich immer, alle (gefühlten) Erwartungen bestens zu erfüllen. Sie verstarb 1941 in Mödling bei Wien, im Bewusstsein als Vertreterin Japans dem heimatlichen Kaiserreich zur vollsten Zufriedenheit gedient zu haben und gleichzeitig langjährig unter Heimweh, Entfremdung und Beziehungsbrüchen zu Verwandten in Japan sowie den eigenen sieben Kindern zu leiden, welche die Herkunfts- und Erlebniswelt ihrer Mutter kaum verstehen lernten.
Die hier beschriebene Familiendynamik vermittelt sich als eindrucksvolles Beispiel für komplexe Traumatisierungen durch emotionale Überforderungen, die sich transgenerational fortsetzen, da sich Muster für Vermeidung und Schweigen unbemerkt über Generationen in der Familie erhalten können.
Ein Sohn der Gräfin ist Richard Coudenhove-Kalergi, der 1923 die Paneuropa-Bewegung gründete, damit die gedankliche Basis zur Europäischen Union schaffte und darin vielleicht auch eine Lösung zur eigenen Familiengeschichte und deren Beziehungsbrüche. Was würde er zum aktuellen Ukraine-Krieg jetzt sagen ?
Im Gedenken an ihn und seine Mutter widmete Frau Schmidt-Muraki die Initiative zum Zengartenbau zur Völkerverständigung u.a. in Gstaad/Schweiz (2003), Mödling/Österreich (2008), Sopran/Ungarn (2009) und Ronsperg(Pobezovice)/Tschechien (2015).
Mit dem Plan, den Zengarten in Ronsperg bald zu besuchen, ließen wir unsere Ohanami-Veranstaltung 2022 in einem fröhlichen Miteinander bei japanischen Köstlichkeiten ausklingen.